Ein Gemälde wirkt auf den ersten Blick still, unbeweglich und geschlossen. Doch seine Struktur ist empfindlich – eine komplexe Verbindung aus Textil, Grundierung, Farbe und Firnis. Wenn diese Schichten aus ihrem Gleichgewicht geraten, genügt oft ein Moment: ein Stoß, ein Transport, ein Fall. Die Leinwand reißt, die Farbe bricht, und das Gleichgewicht des Werkes ist gestört.
Risse und Löcher in Leinwandgemälden entstehen häufig nicht durch Alterung, sondern durch äußere Einwirkung.
Ein ungesicherter Transport, Stöße an Kanten, zu enge Aufhängungen oder abrupte Bewegungen führen zu punktuellen Belastungen. Schon eine geringe Spannungsspitze kann den textilen Träger einreißen lassen.
Auch unsachgemäße Handhabung, etwa das Anfassen der Rückseite, das Abstützen auf Keilrahmen oder Druck von hinten, hinterlässt Spuren. Selbst ein leichtes Anlehnen kann, besonders bei älteren Leinwänden mit Versprödungen, einen Riss hervorrufen.
Verstärkt werden solche Risiken durch verzogene oder gelockerte Keilrahmen, die den Träger nicht mehr gleichmäßig halten. Wenn sich die Spannung ungleich verteilt, entstehen Dehnungszonen, die beim geringsten Druck aufbrechen.
Typisch sind lineare oder sternförmige Risse, manchmal begleitet von abstehenden Malschichträndern und aufgewölbter Grundierung.
Bei Stürzen kommt es häufig zu Durchstoßungen, bei denen das Gewebe sowohl eingerissen als auch verdrängt wird. Die Ränder fransen aus, die Farbe splittert.
Solche Schäden sind mehr als oberflächlich – sie greifen in die strukturelle Integrität des gesamten Gemäldes ein.
Der Befund wird im Atelier unter Streiflicht und Mikroskop untersucht, um Verlauf, Tiefe und Faserausrichtung zu bestimmen. Nur so lässt sich entscheiden, ob eine rein lokale Festigung genügt oder eine partielle Hinterlegung nötig ist.
Ziel ist, die Stabilität des Trägers wiederherzustellen, ohne seine Materialität zu verfälschen.
Die Rissränder werden zunächst gereinigt, plan gelegt und gefestigt. Fasern, die sich überlagert oder verdrängt haben, werden mit feinen Pinzetten in Position gebracht. Anschließend erfolgt die Verklebung mit einem reversiblen, elastischen Klebstoff – meist Fischleim oder eine schwache Paraloid-B-72-Lösung, je nach Materialbeschaffenheit.
Bei größeren Schäden wird der Riss von der Rückseite mit einer feinen Textilverstärkung unterlegt. Diese Stützleinwand – oft aus Seide oder Polyestergewebe – stabilisiert den Bereich, ohne Spannung in die Originalleinwand einzutragen.
Nach der Trocknung werden Fehlstellen gekittet und retuschiert, um den Bildzusammenhang wiederherzustellen. Der Eingriff bleibt minimal und reversibel.
Viele dieser Schäden sind vermeidbar.
Gemälde sollten stets an stabilen Rahmen getragen, beim Transport gepolstert und niemals an der Leinwand selbst angefasst werden.
Ein Klima mit moderater Luftfeuchtigkeit verhindert zusätzlich Spannungsverluste.
Restauratorinnen und Restauratoren empfehlen regelmäßige Zustandskontrollen – besonders nach Transporten oder Ausstellungen. Schon kleinste Spannungsrisse können sich unbemerkt vergrößern, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt werden.
Ein Riss in der Leinwand ist kein bloßes Missgeschick, sondern ein Symptom physischer Überlastung.
Seine fachgerechte Behandlung stellt nicht nur die Stabilität wieder her, sondern auch das Vertrauen in das Objekt.
Denn ein Gemälde ist kein starres Ding, sondern ein empfindliches System, das Respekt und Umsicht verlangt – bei jedem Transport, bei jeder Berührung, bei jeder Restaurierung.
Wenn Ihr Gemälde durch einen Stoß, einen Sturz oder unsachgemäßen Transport beschädigt wurde, sollte der Schaden rasch begutachtet werden.
Im Atelier kann geprüft werden, ob eine lokale Festigung oder partielle Hinterlegung nötig ist – bevor aus einer Verletzung ein Verlust entsteht.
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